Ehre deinen Hunger!
Beitrag erstellt am 31.12.2022
Wir essen oft, bis der Teller leer ist oder bis die Packung fertig ist. Bei Hunger und Sättigung verlassen wir uns oft auf äußere Einflüsse. Kannst du deine Hunger- und Sättigungsgefühle wahrnehmen? Wie fühlt sich Hunger an? Eine Hungerskala kann bei der Einordnung helfen. Es lohnt sich wieder mehr hinzuspüren!

In diesem Blogartikel geht es um:
🍽️ Die biologische Funktion des Hungerreizes
🍽️ Ernährungspsychologie – Warum essen wir?
🍽️ Wie fühlt sich Hunger bei dir an?
🍽️ Interozeption – innere Körpersignale wahrnehmen
🍽️ Übung um die Körperwahrnehmung zu fördern
🍽️ Signale von innen oder außen?
🍽️ Das passiert, wenn du dein Hungergefühl missachtest
Der Begriff Hunger
bezeichnet ein körperliches und psychologisches, aber auch ein soziales, gesellschaftspolitisches, geschichtswissenschaftliches und wirtschaftliches Phänomen, das je nach Betrachtungsweise unterschiedlich dargestellt werden kann.
Weltweit wird mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen gegen den Hunger gekämpft. Ein sehr wichtiges Thema, das aber nicht Inhalt dieses Blogbeitrages ist.
In diesem Blogbeitrag beschränken wir uns auf die biologischen und psychologischen Aspekte des Begriffs „Hunger“.
Die biologische Funktion des Hungerreizes
besteht darin, die ausreichende Versorgung des Organismus mit Nährstoffen und Energie sicherzustellen.
Manche Bau- und Wirkstoffe kann der Körper nicht selbst herstellen, sie MÜSSEN mit der Nahrung zugeführt werden. Wenn der Körper Hungersignale sendet, schreit er also nach lebensnotwendigen Stoffen. Dazu zählen (neben Wasser) vor allem
🥚 Proteine,
🍎 Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente) und
🧈 bestimmte mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Dein Körper ist darauf angewiesen, dass du sie ihm regelmäßig über dein Essen zuführst.
Hungerreize sind komplex und teilweise noch unerforscht. Wir wissen aber bereits, dass es ein einzigartiges Netzwerk mit mehr als 50 beteiligten Substanzen ist. Das Gehirn ist dabei die Schaltzentrale. Beteiligte Substanzen sind zum Beispiel Leptin (“Sättigungshormon”) und Ghrelin (“Hungerhormon”).

Ernährungspsychologie – Warum essen wir?
🟢 Hunger, Appetit – Startsignale zum Beginn der Nahrungsaufnahme
🔴 und Sättigung – Stoppsignal zur Beendigung der Nahrungsaufnahme?
Die Ernährungspsychologie befasst sich mit drei grundlegenden Fragen:
1. Warum beginnen wir zu essen?
2. Warum hören wir auf zu essen?
3. Warum essen wir, was wir essen?
➡️ Überlege für dich:
❔ Warum essen wir?
❔ Aus welchen Gründen isst du?

Gerne stelle ich diese Frage zu Beginn von Ernährungsworkshops und -vorträgen.
Hier ein paar Antworten, die ich auf die Frage erhalten habe:
🔸 Aus Hunger
🔸Zum Überleben
Das sind meist die ersten Antworten, die kommen. Danach erst mal fragende Blicke. Überleg´ mal, ob du wirklich IMMER NUR aus Hunger und zum Überleben isst! Wahrscheinlich nicht!
Weitere Antworten, die dann oft kommen:
🔸 Um Energie zu bekommen
🔸 Weil es gut schmeckt
🔸 Aus Gewohnheit
🔸 zur Belohnung
🔸 Aus Frust
🔸 Aus Langeweile
🔸 In Gesellschaft: weil andere essen, weil ich nicht NEIN sagen kann/will
Ja, Essen (Nahrungsaufnahme) ist ein komplexer psychophysiologischer Prozess. Appetit, Hunger und Sättigung sind Wahrnehmungen, die das Essverhalten steuern. Wir essen jedoch auch ohne Appetit zu verspüren und können ebenso das Essen beenden, ohne satt zu sein. Hunger ist ein existenzielles Verlangen, hingegen umschreibt Appetit eine lustvolle Motivation zu essen.
Hunger- und Appetit-Gefühle sind sehr individuell: sie unterliegen vielfältigen eigenen Vorerfahrungen und Annahmen.
Wie fühlt sich Hunger bei dir an?
Wenn dein Körper hungrig ist, versucht er auf verschiedene Arten deine Aufmerksamkeit zu bekommen. Das können Energie- und Stimmungsveränderungen oder auch vermehrt Gedanken an Essen sein. Vielleicht spürst du den Hunger in der Magengegend oder nimmst sogar ein Magenknurren wahr. Das ist zwar ein häufiges Zeichen von Hunger, aber nicht jede*r spürt Hunger in der Magengegend.
➡️ Hier sind ein paar Hungersignale, die vorkommen können, welche davon kennst du von dir?
⚪ Magen: Vielzahl von Empfindungen, einschließlich: Knurren, Rumpeln, Gurgeln, Gefühl von Leere,…
⚪ Hals und Speiseröhre: Dumpfer Schmerz
⚪ Kopf: Gefühl von Nebel im Kopf “Brainfog“, Benommenheit, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten. Gehäuft Gedanken an Essen
⚪ Stimmung: Reizbarkeit, „hangry sein“
⚪ Energie: Nachlassend, vielleicht sogar bis zur Schläfrigkeit.
➡️ Versuche mal über ein paar Tage zu beobachten:
↪️ Kurz vor einer Mahlzeit frage dich, wie hungrig bin ich gerade?
↪️ Zusätzlich kannst du dich fragen: aus welchem Grund esse ich jetzt? Ist es Hunger (ein körperliches Gefühl) oder esse ich aus anderen/emotionalen Gründen (Frust, Langeweile,…)*
↪️ Nach dem Essen kannst du dich fragen: Wie satt hat mich die Mahlzeit gemacht?
Du kannst die folgende Skala zu Hilfe nehmen um deine Empfindungen ungefähr einzuordnen:

* Ist Essen aus anderen Gründen außer Hunger immer schlecht? Soll sich jemand, der zum Beispiel ab und zu aus Frust oder Langeweile isst Vorwürfe machen ❓
💁 Nein. Emotionen gehören zum Essen dazu! Wenn du beobachtest, dass du SEHR HÄUFIG aus FRUST oder LANGEWEILE isst, könnte das ein Thema sein, das du dir genauer anschauen solltest. Es ist hilfreich für solche Situationen/Emotionen mehrere Lösungswege und nicht Essen als einzige Lösungsstrategie zur Verfügung zu haben. Das Thema geht schon sehr in die Psychologie hinein. Wenn du alleine nicht weiterkommst, suche zum Beispiel eine (Ernährungs)psychologin auf.
Interozeption – innere Körpersignale wahrnehmen
Interozeption = Das Wahrnehmen der Empfindungen, die nicht aus der Außenwelt kommen, sondern aus dem eigenen Körper entstehen.
Es ist eine starke und angeborene Fähigkeit. Es geht darum, körperliche Signale wie Herzschlag, volle Blase, Hitzewallungen Hunger und Sättigung und viel andere Signale des Körpers wahrzunehmen.
Die Prinzipien des intuitiven Essens (nach Tribole & Resch) fördern die Interozeption bzw. beseitigen Hindernisse am Weg dorthin.
Die Hindernisse entstehen normalerweise in unserm Kopf – in Form von Regeln, Überzeugungen und Gedanken. Wenn wir zum Beispiel Hungergefühle immer wieder missachten, weil wir bestimmte Regeln im Kopf haben, wie:
⚡ „Ich darf zwischendurch keine Snacks essen.“
⚡ „Ich darf nur xy (gewisse Anzahl an) Kalorien pro Tag essen.“
⚡ „Ich darf nur zwischen 8 und 16 Uhr essen.“
⚡ …
Aber auch ein Mangel an Selbstfürsorge kann Ursache sein, dass wir nicht (ausreichend) auf unsere Körpersignale hören.
Auch chronischer Stress wirkt sich auf einerseits auf unsere Hunger- und Sättiungssignale an sich, als auch auf deren Wahrnehmung aus.
❓ Bist du eher jemand der/die in stressigen Phasen MEHR isst, oder jemand, der/die dann WENIGER isst?
💡 Wer das Wahrnehmen von Hunger- und Sättigung lange unterdrückt hat, wird wieder etwas Übung brauchen um das Spüren wieder zu erlernen.
Übung um die Körperwahrnehmung zu fördern
➡️ Hier eine Übung für dich aus „The Intuitive Eating Workbook“ von Evelyn Tribole und Elyse Resch: Um deine Interozeption zu fördern, kannst du mit folgender Übung beginnen, die aus drei Teilen besteht. Suche dir einen ruhigen Platz zum Sitzen ohne Ablenkung für dieses Experiment!

💓 Teil 1:
Kannst du deine Herzfrequenz wahrnehmen?
Lege Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand auf das Handgelenk deiner linken Hand und spüre deinen Puls. Sobald du deinen Puls fühlen kannst, zählen deine Herzschläge eine Minute lang.
💓 Teil 2:
Eine Möglichkeit, wie Forscher die interozeptive Wahrnehmungsfähigkeit von Menschen messen, besteht darin, sie ihre Herzschläge zählen zu lassen – ohne den Puls (am Handgelenk oder sonstwo) zu ertasten.
Für Teil 2 ist es wichtig, dass du nicht abgelenkt wirst, außerdem erfordert die Übung Geduld und Übung (klappt nicht bei jede*m sofort).
Setze dich auf einen Stuhl, lege deine Hände mit den Handflächen nach unten bequem auf deine Beine. Nimm bei normaler Atmung ein paar entspannende Atemzüge. Wenn du dich entspannt und ruhig fühlst, richte deine Aufmerksamkeit auf deinen Herzschlag. Zähle leise jeden Herzschlag für eine Minute (ohne ihn manuell irgendwo zu ertasten).
Nicht jede*r kann seinen Herzschlag beim ersten Versuch spüren.
💓 Teil 3: Reflexion
Nimm dir einen Moment Zeit, um über die folgenden Fragen nachzudenken, und schreiben die Antworten auf:
❔ Frage 1
Konntest du in Teil 2 deinen Puls wahrnehmen? Wenn ja, weiter mit Frage 2. Wenn nein, weiter mit Frage 3
❔ Frage 2
Wo in Ihrem Körper hast du deinen Puls gespürt? (Es ist möglich ihn an verschiedenen Stellen zu spüren, wie z.B. in den Händen, an der Schläfen, in der Brust….) Hast du ihn an mehr als einer Stelle in deinem Körper gespürt?
❔ Frage 3
Wie waren deine Selbstgespräche während der Übung? Waren deine Gedanken kritisch und hart gegenüber dir selbst, während du versucht hast deinen Herzschlag wahrzunehmen? Oder waren sie freundlich und mitfühlend?
Diese Übung, wie auch Meditation ist eine Möglichkeit sich mit seinem eigenen Körper zu verbinden und einfach nur „zuzuhören“. Tägliches Üben für 5 Minuten kann hilfreich sein. Immer wieder auf seine Körpersignale zu achten, kann helfen seine Hunger- und Sättigungssignale (wieder) besser wahrzunehmen. Bitte beachte, dass diese Körpersignale weder „richtig“ noch „falsch“ sind – sie sind einfach nur Informationen.
Auch wenn wir Hunger wahrnehmen sollten unsere Selbstgespräche wohlwollend und nicht verurteilend sein!
Signale von innen oder außen?
Oft lassen wir beim Essen mehr von äußeren Einflüssen als von inneren Signalen beeinflussen. Sich diesen äußeren Einflüssen bewusst zu werden, ist der erste Schritt. Der zweite ist, diese mit deinen inneren Hunger- und Sättigungssignalen abzugleichen. (Mit den inneren Signalen haben wir uns ja im oberen Teil des Artikels schon beschäftigt.) Dann kannst du entscheiden, auf Basis welcher du deine bewussten Essentscheidungen in dem Moment treffen willst.
PS: Es ist total okay nicht JEDE Ess-Entscheidung des Tages BEWUSST zu treffen!
Hier ein paar Beispiele für “Signale”/Einflüsse von außen:
🤔 Sicher kennst du folgende Sprüche – vielleicht hast du sie selbst gesagt bekommen als Kind, oder sie auch selbst schon verwendet:
🗨️ „Ein Löffel für die Oma…“
🗨️ „Iss auf, damit das Wetter morgen schön wird!“

Ganz ehrlich – was lernt man denn seinem Kind damit an? Dass es seine eigenen Hunger- und Sättigungsgefühle unterdrücken und ignorieren soll. Das ist sicher kritisch zu hinterfragen, ob solche Sprüche beim Essen Sinn machen! Sicher kann Essen oder „Nicht-Essen“ von Seiten der Kinder auch eine Art Grenzen ausloten sein – aber das ist wieder ein anderes Thema. Wenn du dir unsicher in Bezug auf das Essverhalten deines Kindes bist, such gerne eine Diaetologin auf, die auf das Thema Kinderernährung spezialisiert ist.
🤔 Werbung
In unseren Ess- und Kaufentscheidungen werden wir mehr oder weniger bewusst von Marketingmaßnahmen beeinflusst. Das passiert über
🖥️ Werbung, die uns über den Bildschirm oder sonstige Medien gezeigt wird, aber auch
🛒im Geschäft über die Verpackung, über die Anordnung der Produkte, sowie über Einflüsse durch
Geruch oder Licht.
🤔 Packungsgröße
🧃 Oft lassen wir von der Portion am Teller oder der Packungsgröße bestimmen wieviel wir essen. Wir hören nicht auf zu essen, wenn wir satt sind, sondern essen genau bis der Teller oder die Packung leer sind.
🤔 Die Diätindustrie
Schönheitsideale und die Diätindustrie (ein Milliardengeschäft) 💸 wollen uns weismachen, dass wir ein bestimmtes Gewicht erreichen müssen um wertvoll zu sein. – Oft sollen wir das durch HUNGERN erreichen. Lass dir nicht einreden, dass dein Wert von deinem Gewicht abhängt!
Das passiert, wenn du dein Hungergefühl missachtest
🍴 Es kann sein, dass du Heißhunger bekommst. Aus der Einzelberatung kenne ich das Phänomen gut. Viele versuchen dem Hungergefühl so lange wie möglich nicht nachzugeben. Irgendwann kommt der Heißhunger und dann wird über die Maßen oder viel zucker- und fetthaltiges gegessen.
🍴 Es kann sein, dass du Muskulatur abbaust. Wenn du zu wenig Energie und/oder Eiweiß zuführst, wird früher oder später deine Muskelmasse abgebaut.
🍴 Es kann sein, dass du einen Mangel an einem oder mehreren Nährstoff(en) entwickelst, weil du ihn zu selten oder in zu geringer Menge zu dir nimmst.
🍴 Ein chronisches zu-wenig-Essen im Sport kann zum sogenannten RED-S (Relatives Energie Defizit-Syndrom) führen mit vielen negativen Auswirkungen

Ich möchte dich also einladen, Hunger und Sättigung wieder mehr spüren zu lernen und deinen Körpersignalen wieder mehr zu vertrauen. Wenn du dabei Hilfe brauchst, melde dich gerne bei mir zu einem Beratungsgespräch.
Quellen:
Resch, E., Tribole, E. (2017). The INTUITIVE EATING Workbook. New Harbinger Publications.
Resch, E., Tribole, E. (2013). Intuitiv Abnehmen. (12. Auflage). Goldmann.
https://docplayer.org/44478706-Psychiatrie-und-psychologie.html abgerufen am 31.12.2022
https://fet-ev.eu/hunger-saettigung/ abgerufen am 31.12.2022
https://de.wikipedia.org/wiki/Hunger abgerufen am 31.12.2022